Was ist Taxi-Geometrie?
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Die Taxi-Geometrie ist eine Form der Geometrie, in der
der Abstand zweier Punkte A und B nicht als Länge der Strecke AB definiert
wird, sondern als Summe der Beträge der Differenzen ihrer Koordinaten.
Formel: AP+PB= |x2-x1| + |y2-y1|
Dabei haben die Punkte in der einfachen Version nur ganzzahlige
Koordinaten, und ihre Verbindungen sind Gitterlinien. |
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Hinter dem Namen steht folgender Sachverhalt.
Man kann das Gitter als ein Netz von Straßen auffassen,
das ein Taxifahrer durchfährt.
Die Kreuzungen bilden die Orte, die er anfahren kann.
Es ist bemerkenswert, dass der Taxifahrer unterschiedliche
Wege - von A ausgehend - nehmen kann, die die gleiche Weglänge haben,
vorausgesetzt, er nähert sich stetig dem Ziel B. |
Fährt der Taxifahrer nur geradeaus, so gibt es keinen
Unterschied zwischen Taxi- und euklidischer Geometrie.
Neben der Bezeichnung Taxi-Geometrie
findet man auch die Namen City-Block-, Manhattan- oder Minkowski-Geometrie.
Auf Hermann Minkowski (1864 bis 1909) geht die Idee zurück.
Grundlage dieser Webseite
ist ein Kapitel in Gardners Buch (1).
T-Strecke top
In der euklidischen Geometrie gibt es zu zwei Punkten
genau eine Strecke mit wohldefiniertem Abstand, in der Taxi-Geometrie zu
einem Abstand mehrere Strecken.
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Das deutet noch einmal die Zeichnung an. Beide Strecken
haben die Länge 9.
Zur Kennzeichnung dieser neuen Art von Strecke nennt man
sie auch Taxi-Strecke oder T-Strecke. |
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Es stellt sich die Frage, wie viele T-Strecken es zwischen
zwei Punkten gibt.
In diesem einfachen Fall kann man die Wege abzählen
und kommt auf die Anzahl 6. |
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Bei einer systematischen Untersuchung entdeckt man eine
Gesetzmäßigkeit.
Die Anzahl der Wege an einer Kreuzung ist immer die Summe
der Wege an den vorhergehenden Kreuzungen.
Das führt zum pascalschen Dreieck, dessen Zeilen
hier als Diagonalen auftreten. |
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Der Punkt B liegt von A aus gesehen auf der neunten Diagonale
und somit auch in der neunten Zeile des pascalschen Dreiecks, und zwar
an der vierten Stelle.
Da liegt die Zahl 28+56=84 oder "9 über 3".
Es gibt also 84 Wege, um für den Fall "6 nach
rechts, 3 hoch" von A zu B zu gelangen.
Allgemein ist für "n nach rechts, m hoch" die Anzahl
"n+m über m". |
T-Linie
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Der Vollständigkeit halber sei auch eine beliebige
T-Verbindungslinie zwischen A und B gezeichnet, die keine T-Strecke ist.
Sie besteht aus den T-Strecken AC, CD, DE und EB. |
T-Vieleck top
Vielecke müssen auch neu gesehen werden.
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In der nebenstehenden Figur werden die Punkte A und B
durch zwei T-Strecken der Länge 8 verbunden.
Es entsteht ein Zweieck AB, das es in der euklidischen
Geometrie nicht gibt. |
Gibt man einen dritten Punkt C vor, so ist es eine Sache
der Definition, ob die Punkte A, B und C ein T-Dreieck bilden.
>Dafür spricht, dass sie in der euklidischen Geometrie
ein Dreieck bilden.
>Dagegen spricht, dass A, B und C auf einer T-Strecke
liegen.
Ich folge auf dieser Seite Martin Gardner (1), der T-Dreiecke
dieser Art zulässt, und das ist auch üblich.
In diesem Sinne steckt in
der Figur auch das Viereck ADBC der Seitenlänge 4.
Konsequenterweise ist die
Figur auch ein T-16-Eck der Seitenlänge 1, auch wenn sich das merkwürdig
anhört.
T-Quadrat?
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Man könnte einen Schritt weitergehen und das
Viereck ADBC als T-Raute bezeichnen, da vier Seiten gleich lang sind. Es
ist kein T-Quadrat, da der Winkel bei D ein gestreckter ist.
Problematisch an dieser Definition ist, dass viele Eigenschaften
der Raute verloren gehen, z.B. die Symmetrie. |
In der euklidischen Geometrie ist
ein Viereck ein Quadrat, wenn die Seiten gleich lang sind und die Winkel
rechte Winkel.
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In diesem Sinne sind die nebenstehenden Vierecke T-Quadrate.
Verbindet man die Punkte durch gerade Linien, ergibt sich
eine Raute.
Ist es also eine Raute und kein Quadrat? |
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Will man alle Eigenschaften des Quadrats fordern, sollte
man nur das Quadrat der euklidischen Geometrie als T-Quadrat zulassen. |
Einen anderen Zugang zum
Quadrat liefert die Relation mit |x|+|y|=2 und D=|R.
Sie lässt sich leicht auf die Taxi-Geometrie übertragen.
Es wird sich herausstellen,
dass dieses Quadrat auch als Kreis angesehen werden kann, merkwürdig.
T-Gerade top
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Man erhält aus der T-Strecke eine T-Gerade, indem
man die T-Strecke über beide Endpunkte hinaus verlängert.
Dabei ist hier darauf zu achten, dass es immer "aufwärts"
geht. |
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Untersucht man zwei Geraden auf Schnittpunkte, so kann
man jede Anzahl an Schnittpunkten erreichen.
Hier schneiden sich die Geraden in zwei Punkten. Ändert
man die steigende (schwarze) Gerade so ab, dass sie ab S1 auch
horizontal verläuft, so ist die Anzahl der Schnittpunkte beliebig
groß. |
Wegen der Vielfalt möglicher Geraden lohnt es sich nicht,
sie noch weiter zu untersuchen.
Interessanter sind der T-Kreis und die T-Ellipse in den
nächsten Abschnitten.
T-Kreis
top
Ein Kreis
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Gibt man einen festen Punkt M vor und markiert alle Punkte,
die den Abstand r vom Mittelpunkt M haben, erhält man einen Kreis. |
Diese Aussage überträgt
man auf die Taxi-Geometrie.
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Gibt man einen festen Punkt vor und markiert alle Punkte,
die den T-Abstand 3 haben, erhält man 12 Punkte. Sie bilden ein auf
der Spitze stehendes Quadrat der T-Seitenlänge 6.
Verallgemeinerung:
Gibt man einen festen Punkt vor und markiert alle Punkte,
die den T-Abstand r haben, erhält man 4r Punkte. Sie bilden ein auf
der Spitze stehendes Quadrat der T-Seitenlänge 2r. |
Dieser Sachverhalt erinnert
an die Quadratur des Kreises, bei der der Kreis in ein flächengleiches
Quadrat übergehen soll.
Die Mittelpunktsgleichung
eines Kreises ist im kartesischen Koordinatensystem x²+y²=r².
Hier gilt |x|+|y|=r.
Zwei
Kreise
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Wie bei den gewöhnlichen Kreisen schneiden sich
zwei T-Kreise in keinem, in einem oder in zwei Punkten. |
Bei T-Kreisen gibt es noch
weitere Fälle.
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Zwei T-Kreise mit den T-Radien R und r schneiden sich
in mehr als zwei Punkten, z.B. in drei.
Die Anzahl n der gemeinsamen Punkte wird in dieser Ecklage
durch den kleineren T-Radius bestimmt.
Es gilt n=2r+1 für r<R. |
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Vielleicht sollte man die Punkte des T-Kreises nicht
miteinander verbinden.
Der Eindruck vom Quadrat geht verloren. |
T-Ellipse top
Horizontal-Lage
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Ein Ellipse besteht aus allen
Punkten, deren Summe der Abstände von zwei festen Punkten F1
und F2 gleich ist.
Die Summe ist in der Zeichnung s=s1+s2.
Die beiden festen Punkte F1 und F2
heißen Brennpunkte. |
Wie bei der Ellipse wird
eine T-Ellipse durch den Abstand der Brennpunkte b und die konstante Summe
s bestimmt.
Ein einfaches Computerprogramm findet heraus, dass Figuren
aus zwei Trapezen mit einer gemeinsamen Grundlinie entstehen. Die freien
Grundlinien sind genau so lang wie die Strecke b=F1F2
.
Im Falle s=b=6 entsteht eine Zeile, in deren Eckpunkte die Brennpunkte
liegen.
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hier:
b=2, s=6 |
Der Computer zeichnet nur T-Ellipsen, wenn entweder
> b und s gerade sind wie in der nebenstehenden Zeichnung
oder
> b und s ungerade sind wie in den Computerbildern oben. |
Erklärung: Für
den linken Scheitelpunkt der T-Ellipse z.B. gilt s=2x+b oder s-b=2x oder
"s-b ist eine gerade Zahl".
Daraus folgt, dass s und b gleichzeitig gerade oder gleichzeitig
ungerade sind.
Schräg-Lage
Andere Figuren entstehen, wenn die Brennpunkte diagonal
liegen.
Ein einfaches Computerprogramm findet heraus, dass es
bei einem konstanten T-Abstand Figuren gibt, denen ein Rechteck 3x5 zugrunde
liegt. Im Falle s=b entsteht ein ausgefülltes Rechteck, dessen Eckpunkte
auch Brennpunkte sind.
Zustandekommen einer T-Ellipse
mit b=6 und s=10
1 Der Punkt oben rechts liegt auf einer T-Strecke durch die
Brennpunkte. Es gilt (2+6)+2=10.
2 Über andere T-Strecken findet man fünf weitere
Punkte. Für einen Punkt ist die T-Strecke eingezeichnet.
3 Aus Symmetriegründen ergeben sich sechs weitere
Punkte auf den schrägen Linien.
4 Zum Punkt oben rechts gibt es links daneben vier weitere
Punkte. Der Abstand zum rechten Brennpunkt wird schrittweise um 1 größer,
zum linken um 1 kleiner, bis man zu einem Punkt über dem linken Brennpunkt
gelangt. So bleibt es bei der Summe 10. - Die gleichen Überlegungen
gelten für die fünf Punkte unten.
5 Die Überlegungen zu 4 kann man auf die vertikal
liegenden Punkte übertragen. Das sind zwei weitere Punkte, rechts
und links.
Diese Überlegungen kann man auf beliebige T-Ellipsen
verallgemeinern.
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Es stellt sich also heraus, dass die Anzahl der
waagerecht und senkrecht liegenden Punkte durch die Anzahl der Punkte im
Steigungsdreieck bestimmt sind. Das sind die Zahlen 5 und 3.
Oben liegen die Brennpunkte nebeneinander. Die Zahlen
heißen da 1 und 5 bzw. 1 und 3. |
Ergänzung
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Oben erkannte ein Computerprogramm, dass ein gefülltes
Rechteck 3x5 auch eine T-Ellipse ist. Es gilt b=s=6.
Legt man die Brennpunkte diagonal außerhalb des
Rechtecks in die Mitte eines Gitterquadrats wie links, so ergibt sich das
gleiche Rechteck. Es gilt b=s=8. |
Ausblick top
>In Gardners Buch (1) findet man noch Untersuchungen
der T-Hyperbel und der T-Parabel, die auch über Abstandsbedingungen
erfasst werden.
>Statt des quadratischen Musters könnte man auch
ein Dreiecksmuster vorgeben.
>Auch in anderer Hinsicht kann verallgemeinert werden.
Statt des ebenen Gitters gibt man ein Raumgitter oder gar ein Gitter in
einem höherdimensionalen Raum vor und betreibt dort Taxi-Geometrie.
Taxi-Geometrie
im Internet top
Deutsch
Wikipedia
Manhattan-Metrik,
Französische
Eisenbahnmetrik, Metrischer
Raum, Euklidischer
Abstand
Englisch
Barile, Margherita (MathWorld)
Taxicab
Metric
Jim Wilson
Overview
of Taxi Cab Geometry
Robert M. Dickau
Shortest-path
diagrams, 3D
shortest-path diagrams, Paths
through a 4-D Lattice
The Wolfram Demonstrations Project
Taxicab
Geometry
Wikipedia
Taxicab
geometry,
Metric
(mathematics),Euclidean
distance
Referenzen
top
(1) Martin Gardner: Geometrie mit Taxis, die Köpfe
der Hydra und andere mathematische Spielereien, Basel 1997
[ISBN 3-7643-5702-9]
Der Originalaufsatz
Taxicab Geometry ist nachzulesen
unter
The
Last Recreations: Hydras, Eggs, and Other Mathematical Mystifications
Von Martin Gardner
Zufällig ist das Kapitel 10 im Google-Buch zugänglich.
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2009 Jürgen Köller
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